Angiodysplasie

Unter dem Begriff Angiodysplasie versteht man eine lokale Fehlbildung der Gefäße als Folge einer abnormen embryonalen Gewebspersistenz (Hamartie), die manchmal eine Tendenz zur Dysplasie aufweisen kann (Harmatom). Es handelt sich aber immer um benigne Fehlbildungen, die keine Zeichen von Atypie oder Anaplasie aufweisen und sind von echten Neoplasien abzugrenzen.

Bis zum vorigen Jahrhundert wurden Angiodysplasien offenbar nur selten beobachtet oder beschrieben. Erst im 19.Jahrhundert tauchten dann die ersten Beschreibungen von singulären Arteriovenösen-Fisteln (AV-Fistel) , diffusen Phlebektasien (erweiterte Venen) und diffusen Phlebarteriektasien (Arterien- und Venenerweiterungen) auf.

1869 beschrieben Trelat und Monod erstmals eine Kombination aus Gefäß- und Skeletmißbildung. Bekannt geworden werden sie allerdings erst im Jahre 1900 durch Klippel und Trenaunay. Sie haben einen disproportionierten Riesenwuchs einer Extremität beschrieben, kombiniert mit Häm- oder Lymphangiomen verschiedener Ausdehnung und kombiniert mit Varizen. Schon damals wurde darauf hingewiesen, dass das arterielle Gefäßsystem nicht in die Dysplasie involviert ist.

Die nächsten Beobachtungen erschienen 1907 bis 1918 von Frederik Parkes-Weber, von dem auch der Begriff der Phlebarteriektasie geprägt wurde. Er beschrieb einen proportionierten umschriebenen Gliedmaßen-Riesenwuchs und eine Angiodysplasie, die alle Symptome einer AV-Fistel nach dem heutigen Wissensstand aufweist.

Schließlich wurde 1948 von Servelle und Martorell ein weiteres Syndrom beobachtet, bestehend aus ausgedehnten, meist kavernösen Hämangiomen, die sowohl Weichteile als auch Knochenstrukturen manchmal einer ganzen Extremität durchsetzen.

Tabelle 1. Kennzeichen der vasculären Sonderformen des umschriebenen Riesenwuchses (aus: Vollmar, J.: In: Aktuelle Probleme in der Angiologie. 9. Das Dicke Bein; Grundlagen, Diagnostik, Therapie. Hrsg.; U. Brunner, A. Kappen, R. May, W. Schoop, E. Witzleb. Bern. Stuttgan-Wien; H. Huber 1970).

Diagnose Klippel-Trenaunay-Syndrom (1900) F.P.Weber-Syndrom (1907-18
Riesenwuchs meist dysproportioniert-elephantiastisch proportioniert
Gefäßnaevi bzw. Hämangiome; Lymphangiome fast regelmäßig Sehr selten
Arterio-venöse  Fisteln Fehlen (Ausnahme: inaktive Mikrofistel Vorhanden
Anomalien der tiefen Venen (Aplasien; Hypoplasien; Avalvulie) gelegentlich fehlen
Prognose günstig: Neigung zur Fortschreitung

 

Vor allem in der europäischen Literatur wurde in der Folge jede diffuse Angiodysplasie der Gliedmaßen als Klippel-Trenauney-F.P.Weber-Syndrom bezeichnet. Wir verdanken es besonders den Bemühungen der chirurgisch tätigen Kollegen – Malan und Vollmar – dass dieses Eponym endlich aufgegeben wurde. Sie haben postuliert, dass die Bezeichnung Klippel-Trenaunay-F.P.Weber völlig falsch und bedeutungslos sei und daher aufgegeben werden sollte, da eine Zusammenfassung sowohl historisch als auch klinisch völlig differenter Krankheitsbilder mit unterschiedlicher Prognose und Therapie nicht statthaft ist.

Die Fortschritte der letzten 20 Jahre auf Grund verbesserter diagnostischer und erkenntnistheoretischer Möglichkeiten bestanden darin, dass das Prinzip der pathologischen Dominanz der Gefäßbeteiligung postuliert wurde. Im Interesse der unmissverständlichen Terminologie sollte das jeweils klinisch führende Symptom – Angiodysplasie bzw. Skeletveränderung – der klinischen Klassifizierung zugrunde gelegt werden. Die Vorrangstellung der Gefäßdysplasie ist dabei meist unumstritten. Die rezenten Klassifikationsvorschläge beruhen auf Berücksichtigung nosologischer, didaktischer, pathophysiologischer und anatomischhklinischer Aspekte.

Typen

Angiodysplasien der Gliedmaßen sind außerordentlich häufig mit Skeletveränderungen vergesellschaftet. Über die formalgenetischen Zusammenhänge zwischen Gefäß- und Skeletmißbildung war man sich lange Zeit aber nicht im klaren. Es lassen sich heute drei charakteristische Symptom-Kombinationen unterscheiden, wobei die Angiodysplasie gewissermaßen das Leitfossil zur klinischen Abgrenzung darstellt.

1. Der gefäßbedingte umschriebene Gliedmaßen-Riesenwuchs durch intra- und extraossäre arteriovenöse Fisteln (Typ F.P.Weber).

Der Riesenwuchs bei diesen Angiodysplasien mit aktiven AV-Shunts ist als sekundär gefäßbedingt zu verstehen,durch eine arterielle Hyperämie in den Wachstumszonen. Die Bestätigung dieser Theorie geben die chirurgischen Therapieeerfolge. Die möglichst frühzeitige, nach hämodynamisch funktionellen Gesichtspunkten durchgeführte Operation führt zur drastischen Shuntvolumsverringerung, was sofort zu einer Retardierung weiteren Knochenwachstums führt und lokale und systemische Spätfolgen verhindern kann.

2. Skelethypoplasie bei systematisierten Hämangiomatosen (osteolytische Hämangiomatose, Typ Servelle-Martorell). Hier sind Weichteile und Skelet von meist kavernösen Hämangiomen durchsetzt, was zu Skelethypoplasie, Knorpelldestruktion, Osteoporose und Spontanfrakturen führen kann. Ausgedehnte Formen können mit Gerinnungsstörungen einhergehen. Arterio-venöse Shunts bestehen nicht. Formalgenetisch ist für den Minderwuchs in erster Linie eine destruktive Durchsetzung der Epiphysenfugen durch hämangiomatöses Gewebe anzusehen, d.h. die Hypoplasie ist ebenfalls sekundär gefäßbedingt. Die Therapie besteht in konservativer, externer, lebenslänglicher Kompression.

3. Umschriebener Riesenwuchs in Kombination mit venösen und lymphatischen Angiodysplasien (Typ Klippel-Trenaunay) . Formalgenetisch scheint hier der Überwuchs des Skelettsystems auf einer koordinierten Massenverteilungsstörung zu beruhen. Die Therapie besteht in streng konservativer externer Kompression.

Obwohl durch die außerordentlichen Bemühungen von Vollmar und Malan jetzt eine einheitliche Klassifizierung der Angiodsyplasien geschaffen werden konnte, besteht bezüglich Ätiologie und Pathogenese dieser Mißbildungen noch immer Unklarheit.

Ätiologie

Ätiologie der Angiodysplasien noch ungeklärt und hypothetisch

  • Genetischer Faktor
  • Exogene Faktoren während der Ontogenese
  • Postnatale „triggering events“
  • Vaskuläre Theorie
  • Endokrine Theorie
  • Neurovegetative Theorie
  • Embryogenetische Theorie.

Diagnostik

Folgende diagnostische Möglichkeiten zur Abklärung einer Angiodysplasie stehen heute zur Verfügung .

  • Palpation
  • Auskultation
  • Hauttemperatur
  • Calorimetrie
  • Oszillographie
  • Plethysmographie
  • Sonographie
  • Angiographie
  • Shuntvolumsbestimmung.

Der neue Aspekt der letzten Jahre bestand im Erkennen des hämodynamischen Faktors als das pathogenetische Prinzip der Angiodysplasien und der sich daraus ergebenden prognostischen, vor allem aber therapeutischen Konsequenzen. Die wichtigste Frage in Bezug auf Prognose und Therapie einer Angiodysplasie ist: Besteht ein AV-Shunt oder nicht?

Jede arteriovenöse Fistel stellt eine direkte Verbindung geringen Widerstandes zwischen einem Hochdruck- und einem Niederdrucksystem dar, so dass der Blutstrom unter Umgehung des Kapillarbettes mit seinem hohen Widerstand den Weg des geringsten Widerstandes durch die AV-Verbindung wählt. Diese geänderte hämodynamische Situation hat sowohl lokale als auch systemische Veränderungen zur Folge:

1. Das Shuntblut wird der Ernährung des distalen Gewebes entzogen,

3. Die Blutströmung ist durch die Ausbildung von Turbulenzen gestört.

4. Diese wiederum haben Rückwirkungen auf die Gefäßwände, die dem enormen Lateraldruck nicht gewachsen sind. Besonders ausgeprägt sind die Veränderungen am venösen Schenkel des Gefäßsystems. Es kommt zu Dilatation und Schlängelung der Gefäße sowie zur Aktivierung des angiotaktischen Faktors, d.h. zur Neubildung von Gefäßen.

5. Als Kompensationsmechanismus des unterversorgten peripheren Kreislaufes kommt es zu einer Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens.

Der Reihenfolge nach kommt es zu Tachykardie, Volumenzunahme des Herzens, Myocardhypertrophie, im Extremfall zu Lungenstauung und Herzversagen. Ein weiteres Phänomen von AV-Shunts ist, dass sie eine fast krebsartige Eigendynamik entwickeln. Früher glaubte man daher an echte Neoplasien, heute weiß man, dass diese einzig auf die Wirkung des hämodynamischen Faktors zurückzuführen ist. Durch diesen kommt es zur Aktivierung bis dahin inaktiver Gefäßverbindungen, zur Aktivierung der Angiopoese und damit zur Neubildung von Gefäßen und zur Einbeziehung physiologischer Strukturen, wie z.B. der Hoyer-Grosserschen Organe, in die Angiodysplasie.

Therapie

Vor allem für den Chirurgen und für das weitere therapeutische Prozedere von Bedeutung sind die verschiedenen Arten von AV-Fisteln.

Ein operatives Vorgehen ist wegen der großen Anzahl und des oftmals kleinen Kalibers der arteriovenösen Fisteln selten durchführbar. Besser geeignet ist die superselektive Embolisation, allerdings mit den Risiken der Ischämie und Nekrose.

Chirurgische Behandlungsprinzipien

Chirurgische Radikalität ist nur bei den sehr selten vorkommenden Typen I und III möglich. Am schwierigsten ist das Vorgehen bei den Typ II-Fisteln, die aber leider bei der Mehrzahl der Angiodysplasien der Gliedmaßen vorliegen und diese fast zur Gänze einnehmen. In diesem Fall kommt nur eine hämodynamisch funktionelle Chirurgie in Frage, d.h. eine möglichst frühzeitige, drastische Reduktion des Shunt-Volumens durch Skeletierungsoperationen.

Durchgesetzt haben sich die Embolisierung und zuletzt zunehmend die Ultraschall gezielte Schaumverödung.

Die Langzeitergebnisse in Bezug auf lokale und systemische Veränderungen sind ausgezeichnet.

Nach Ausbildung peripher-ischämischer Veränderungen oder bei bereits bestehenden Systembeschwerden kommt man aber auch heute um eine Amputation der Extremität als Ultima ratio nicht umhin.

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